Interview zur Konferenz zur Zukunft Europas

Die EU wirkt zu weit weg von den Menschen. Der Eindruck ist manchmal, dass die Lebensrealität in Brüssel nicht stattfindet. Deshalb muss Europa näher zu den Menschen kommen. Wir brauchen eine demokratischere EU. Und wir brauchen ein Europa, das gerade auch in Krisenzeiten handlungsfähiger ist. Wir brauchen an der Spitze der EU in einigen Themenfeldern mehr exekutive Kompetenzen. Das zeigt sich beispielsweise in der Corona-Pandemie. Wenn zu viele gleichzeitig zuständig sind, dann dauert es zu lange und es verschwimmen die Verantwortlichkeiten. Nicht Koordinierung, sondern Ergebnisse sind wichtig.

1. Welche Reformen kann die Zukunftskonferenz realistisch erwirken – wenn überhaupt?

Die Konferenz wird die Plattform der Entscheidungsträger sein. Nationale Parlamente, die drei europäischen Institutionen, die Regierungen der EU-Staaten und auch die Bürgergesellschaft arbeiten gemeinsam an der Zukunft Europas. Wir sollten nicht mit Verzagtheit, sondern ergebnisoffen mit Ambition starten. Es kann nicht richtig sein, dass manche den Reformwillen schon aufgeben, bevor es überhaupt losgeht. Dass die EU reformbedürftig ist, ist ja offensichtlich.

 

2. Welche Reform wäre aus Ihrer Sicht die entscheidende?

Die EU muss außenpolitisch handlungsfähiger werden. Ein wirklicher EU-Außenminister wäre ein starkes Zeichen. Europa darf nicht der Spielball der neuen und alten Weltmächte werden. Wir brauchen einen klaren Fahrplan hin zu einer europäischen Verteidigungsunion innerhalb der NATO mit realen europäischen Streitkräften. Und wir müssen das Einstimmungsprinzip in der Außenpolitik endlich in die Mottenkiste legen.

 

3. Besteht nicht die Gefahr, dass sehr viel geredet und sehr viel Papier beschrieben wird, ohne dass sich wirklich etwas ändert – mit entsprechendem Frustpotenzial bei den Bürgern, die sich über die Plattform einbringen?

Die Einbindung der Bürger wird motivieren. Zuhören und dann Handeln ist die richtige Vorgehensweise. Die Menschen sind in vielen Bereichen weiter als es die Politik ist. Wir haben aus den Fehlern des Verfassungskonvents gelernt. Je mehr Bürgerinnen und Bürger sich beteiligen, desto erfolgreicher wird die Konferenz. Wir brauchen frische, ambitionierte Ideen. Es liegt ja an uns selbst, was wir daraus machen.

 

4. Welche Impulse erwarten Sie von Angela Merkel noch, wenige Monate vor deren Ausscheiden aus der Politik?

Wir können alle sehr von Angela Merkels Autorität als Person profitieren. Sie ist unumstritten die Regierungschefin in der EU mit der größten Erfahrung und einem immensen Ansehen. Sie hat Europa in schweren Zeiten zusammengehalten und die EU mit einem neuen Solidaritätsgedanken auch krisenfester gemacht. Auf diese Errungenschaften können wir eine gute Zukunft aufbauen.

 

5. Nach dem Auftritt der beiden Präsidenten in Ankara und die Rivalität der beiden: Wäre es nicht sinnvoll, auf Junckers Vorschlag von 2017 zurückzukommen und auf Sicht nur noch ein Präsidentenamt zu haben bzw beide zu verschmelzen?

Mittelfristig ja, Europa braucht ein Gesicht in der Welt und muss mit einer Stimme sprechen. Die jetzige Aufteilung stärkt die EU nicht und kann nur ein Zwischenschritt sein.

 

Interview mit der Deutschen Presse Agentur dpa am 21. April 2021 zur Konferenz zur Zukunft Europas.

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