Europäische Verteidigungsunion

Europas Spitzenpolitiker haben den Begriff der Zeitenwende zu Recht in den Vordergrund gestellt, um den Bruch in der europäischen Sicherheitsordnung durch Putins Überfall auf die Ukraine zu beschreiben. Beim EU-Gipfel in Versailles müssen die Staats- und Regierungschefs konkret werden: Sie müssen mit dem Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion ernst machen. Nur ein wehrhaftes Europa ist wirklich souverän. Es wird sich genau jetzt zeigen, ob zum Thema Souveränität nur Sonntagsreden gehalten werden, oder ob Europa handelt. Die EU-Staaten müssen sicherstellen, dass Europa von Putin oder anderen Aggressoren nicht mehr erpresst werden kann. Zwei Punkte sind zentral: Wo kann ein europäischer Pfeiler einen echten Mehrwert zur nationalen Verteidigung und Nato bieten und wie organisieren wir die nukleare Abschreckung langfristig?

Europas Spitzenpolitiker haben den Begriff der Zeitenwende zu Recht in den Vordergrund gestellt, um den Bruch in der europäischen Sicherheitsordnung durch Putins Überfall auf die Ukraine zu beschreiben. Beim EU-Gipfel in Versailles müssen die Staats- und Regierungschefs konkret werden: Sie müssen mit dem Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion ernst machen. Nur ein wehrhaftes Europa ist wirklich souverän. Es wird sich genau jetzt zeigen, ob zum Thema Souveränität nur Sonntagsreden gehalten werden, oder ob Europa handelt. Die EU-Staaten müssen sicherstellen, dass Europa von Putin oder anderen Aggressoren nicht mehr erpresst werden kann. Zwei Punkte sind zentral: Wo kann ein europäischer Pfeiler einen echten Mehrwert zur nationalen Verteidigung und Nato bieten und wie organisieren wir die nukleare Abschreckung langfristig?

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU leidet, trotz einiger Fortschritte, unter einem tristen Dasein. Ich habe oftmals darauf hingewiesen, wie wichtig genau dieses Themenfeld durch die globalen Machtverschiebungen für die Zukunft der EU ist. Es ist die Überlebensfrage dieses Jahrzehnts. Putins brutaler Angriffskrieg zeigt einmal mehr, dass die EU aus ihrem sicherheitspolitischen Dornröschenschlaf aufwachen muss. Die harten Wirtschaftssanktionen und die Waffenlieferungen der letzten Woche waren ein großer Schritt, damit die EU als außenpolitische und wirtschaftliche Macht ernster genommen wird. Nun muss die Sicherheitspolitik folgen. Und zwar sehr weitgehend.

Zahlreiche Aufgabenbereiche liegen auf der Hand: Funktionierende EU-Kommandostrukturen für gemeinsame Missionen und ein militärisches Hauptquartier, ein gemeinsames Beschaffungswesen oder die Standardisierung bei der Ausrüstung. Gerade über die EU-Verteidigungsinitiative PESCO gibt es viele Ansätze, manche durchaus ambitioniert. Auch die Kooperation mit der Nato hat Vorteile eröffnet und in der Durchführung militärischer Missionen wie in Mali übernimmt die EU bereits Verantwortung. Die aktuelle Situation macht aber klar: Es braucht keine Trippelschritte, sondern einen Durchbruch.

Schon bald werden wir vermehrt über digitale Angriffe sprechen. Die Verteidigung der europäischen Digitalstruktur gehorcht nicht der Logik von Landesgrenzen. Angesichts begrenzter Ressourcen ist ein gemeinsames Handeln folgerichtig. Wir brauchen eine Cyberabwehr-Brigade der EU. Es liegt auf der Hand, Experten zusammenzubringen, Strategien zu entwerfen, Knowhow zu entwickeln und kritische Infrastruktur zu schützen. Schon bestehende EU-Dienste zur Abwehr von Desinformation, Fähigkeiten von Mitgliedstaaten und neue Strukturen sollten unter einem Dach und Kommando gebündelt werden. Die EU muss genauso zum Gegenschlag fähig sein. Jeder Angreifer im Netz muss wissen, dass man sich mit der EU besser nicht anlegt. Das ist derzeit nicht der Fall.

Die Mitgliedstaaten werden sich wieder mehr auf die klassische Landesverteidigung konzentrieren. Eine funktionsfähige EU-Eingreiftruppe wäre für Auslands- und Rettungsmissionen oder als schnell verlegbare Reaktionseinheit auf EU-Gebiet die richtige Ergänzung. Mittelfristig sollten dort, wie beim EU-Grenzschutz FRONTEX schon heute, echte EU-Bedienstete ihren Dienst tun. Solche EU-Kampftruppen, ein echte EU-Brigade, sollte unter EU-Kommando stehen und von der EU geführt werden.

Bei internationalen Missionen wird viel Zeit und Kraft mit den verschiedenen Funkstandards, Munition und Technik verschwendet. Jede Armee Europas hat Sonderwünsche, dieser nationale Egoismus schwächt die Einsatzbereitschaft und erhöht die Kosten. Auch der EU-Binnenmarkt konnte erst seine Kraft entfalten, nachdem die EU die technischen Standards für Produkte harmonisiert hatte. Deshalb ist auch ein EU-Binnenmarkt für Militärgüter notwendig.

Letztlich wird es auf die ganz großen Verteidigungsfragen ankommen. Die Nato garantiert die Raketenabwehr in Europa über die Ballistic-Missile Defence. Die USA koordinieren und betreiben weitgehend die Abwehr gegen konventionelle, aber auch nukleare Angriffe. Wir müssen zu einem eigenen europäischen Raketen-Abwehrschirm kommen, zusammen mit der Nato gedacht und in deren Strukturen integriert. Die USA würden so einerseits entlastet und die Europäer stärker selbst für ihre Verteidigung verantwortlich. Die Nato würde dies deutlich stärken, der europäische Pfeiler würde größere Verantwortung übernehmen. Dies würde ebenso Kritik aus den USA vorbeugen, dass sich die Europäer zu wenig selbst um ihre Verteidigung kümmern.

Die Gretchenfrage bleibt natürlich die nukleare Verteidigung. Die USA garantieren mit ihren Nuklearwaffen über die Nato den Schutzschirm für die europäischen Partner. Ohne Nuklearschirm keine Freiheit. Das ist der elementarste Schutz, der uns heute die Gewissheit gibt, dass Putin nicht die unmittelbare Konfrontation mit der Nato sucht. Diese Sicherheit darf in einer Phase wie der jetzigen nicht von uns Europäern in Frage gestellt werden. Großbritannien und Frankreich verfügen ebenso über Nuklearstreitmächte, die allerdings nicht in die Nato integriert sind. Französische Präsidenten haben mehrmals angedeutet, dass die französischen Nuklearwaffen, die Force de Frappe, auch zum Schutz anderer europäische Staaten dienen können.

Zudem hat Präsident Macron 2020 angeboten, einen strategischen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung Frankreichs für die gemeinsame Sicherheit zu führen. Dieses Angebot müssen Deutschland und EU endlich annehmen. Wir sind zwar noch weit davon entfernt, dass Frankreich damit einen wirklichen nuklearen Schutzschild für die EU bietet, aber zumindest Möglichkeiten sollten ausgelotet werden – selbstverständlich in enger Kooperation mit den USA und der Nato. Wir Deutschen sollten mit Frankreich als die beiden größten Länder in der EU intensiv über die Aufgabenverteilung bei der europäischen Selbstverteidigung reden. Sollte Frankreich einmal bereit sein, die EU-Staaten auch formell unter den sicheren Schutz seines Nuklearschirms zu nehmen, dann müsste Deutschland mindestens vorschlagen, Frankreich beim Unterhalt der Nuklearstreitkräfte zu unterstützen.

Die Gründerväter der EU wie Adenauer und de Gaulle verfolgten das Ziel einer europäischen Armee. Ihre Idee war: Nie wieder Krieg! Dieser Ansatz wurde für sehr lange Zeit nicht mehr weiterverfolgt. Jetzt zwingt uns Putin der Realität ins Auge zu schauen. Die Grundlage wirklicher europäischer Souveränität ist die Fähigkeit, dass sich Europa selbst verteidigen kann – irgendwann auch inklusive Nuklearwaffen. Das ist ein riesiger Kraftakt, vermutlich mehr als die gemeinsame Währung. Wann aber, wenn nicht jetzt, müssen wir Europäer das anpacken. Der russische Angriffskrieg, die Verschiebung der globalen Machtverteilung und die stärkere Orientierung der USA in den Pazifikraum wird von den Europäern mehr und mehr Eigenverantwortung abverlangen. Europa muss erwachsen werden.

 

Dieser Gastbeitrag zum Thema Europäische Verteidigungsunion erschien zunächst am 07. März in der Welt. Mehr zum Thema Russland sowie Europäische Außen- und Sicherheitspolitik lesen Sie hier.
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