Scholz muss sich von der Schröder-SPD emanzipieren

Im Wettbewerb Demokratie versus oligarchisch-autokratisches System Putin, da kann es für Europa keine Frage geben: Wir sind entschieden an der Seite der Ukraine und an der Seite der Opposition in Russland und Belarus. Daher auch mein Aufruf an Olaf Scholz: Er muss sich von der Schröder-SPD emanzipieren. Wir brauchen einen deutschen Bundeskanzler, der in diesen Fragen entschieden steht und klar den Preis für eine militärische Aggression gegen die Ukraine benennt. Mehr zum Thema lesen Sie hier in meinem Interview mit dem Handelsblatt vom 19.01.2022:

Herr Weber, die Russen haben sich festgelegt: Die Gespräche mit dem Westen über die Ukraine seien „eine Sackgasse“. Dennoch will sich US-Außenminister Blinken mit seinem russischen Amtskollegen treffen. Welchen Sinn hat das noch?

Für uns im Westen hat Diplomatie immer Sinn. Konflikte durch Gespräche zu lösen ist immer die Priorität. Aber die Töne aus Moskau zeigen erneut: Putin meint es ernst. Und er nutzt offensichtlich auch den Übergang, den wir derzeit in wichtigen Staaten der Europäischen Union erleben – mit der neuen Bundesregierung in Berlin, dem Abgang von Angela Merkel und der anstehenden Präsidentschaftswahl in Frankreich. Er nutzt die Unsicherheit, die wir in Europa haben – und spielt mit dem Feuer.

Was treibt Putin? 

Ich bin überzeugt, dass im Kern die Sorge dahintersteht, dass sich die Idee von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat weiter ausbreiten wird in Richtung Osten. Wir hatten vor mehr als 30 Jahren Demonstrationen in Leipzig, Berlin und Warschau. Wir hatten Demonstrationen in Kiew. Zuletzt hatten wir Demonstrationen in Minsk. Für Putin ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Moskau die Menschen auf die Straße gehen und sagen: ,Warum dürfen wir nicht in einem freien, demokratischen Land leben, in einem Land, in dem nicht Oligarchen bestimmen, wie Richter urteilen oder Geld verteilt wird.‘ Vor dieser Grundidee der Freiheit hat Putin Angst, und deshalb versucht er, eine Brandmauer zu bauen.

Das bedeutet allerdings auch: Die EU ist für den Kreml mindestens genauso bedrohlich wie die Militärallianz Nato.

Ja. Die Idee, für die die EU steht, ist das Bedrohliche für Putin. Deshalb müssen wir für diese Idee gemeinsam eintreten. Im Wettbewerb Demokratie versus oligarchisch-autokratisches System Putin, da kann es für Europa keine Frage geben: Wir sind entschieden an der Seite der Ukraine und an der Seite der Opposition in Russland und Belarus. Daher auch mein Aufruf an Olaf Scholz: Er muss sich von der Schröder-SPD emanzipieren. Wir brauchen einen deutschen Bundeskanzler, der in diesen Fragen entschieden steht und klar den Preis für eine militärische Aggression gegen die Ukraine benennt.

Allerdings tut sich auch die Union mit einer klaren Festlegung schwer. Kann die Ostseepipeline angesichts der russischen Expansionspolitik in Betrieb gehen?

Nord Stream 2 ist am Ende, sollte es zu einer militärischen Eskalation kommen. Es geht um Krieg und Frieden. Wenn Putin in den Krieg zieht, ist Nord Stream 2 nicht mehr haltbar. Die Pipeline war von Beginn an ein Fehler, weil sie die Abhängigkeit Europas von Russland verstärkt und die EU auseinandertreibt. Wir hätten stärker auf Flüssiggas setzen sollen, das wäre vor 20 Jahren die richtige Entscheidung gewesen. Meine Erwartungshaltung gegenüber dem Europäischen Rat und auch gegenüber dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist, Putin den Preis zu benennen. Je klarer die Folgen einer Aggression beschrieben werden, umso realistischer ist es, dass wir Krieg verhindern.

Aber ist es nicht die bittere Realität, dass wir von russischem Gas abhängig sind und Putin am längeren Hebel sitzt? 

Die Frage ist, ob Russland partnerschaftlich mit uns zusammenarbeiten will. Selbst in den schwierigen Zeiten des Kalten Krieges war das Land ein stabiler Energielieferant. Ob das so bleibt? Das entscheidet sich in Moskau.

Es sieht derzeit nicht danach aus, dass der Kreml an einer konstruktiven Beziehung interessiert ist.

Ich weise aber darauf hin, dass unsere deutsche Energiepolitik ein selbst geschaffenes Dilemma ist. Wir haben zu stark auf Russland gesetzt. Jetzt müssen wir schleunigst über neue Quellen nachdenken. Zwischen Ägypten und Zypern gibt es zum Beispiel sehr interessante Gasfelder. Wir müssen Afrika zum Partner machen, breiter denken und raus aus dieser Fixierung auf Russland. Und klar ist auch: Je schneller es uns als Gesellschaft gelingt, auf regenerative Energiequellen umzusteigen, desto mehr Energieunabhängigkeit schaffen wir für Deutschland.

Frankreich will den Weg dorthin mit Atomstrom überbrücken. Müssen wir die Nuklearfrage neu diskutieren?

Deutschland hat eine Grundsatzentscheidung gefällt, nämlich aus der Kernkraftnutzung auszusteigen. Dafür gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Wir gehen unseren Weg und andere Länder ihren. Die neue niederländische Regierung etwa hat sich entscheiden, zwei neue Atomkraftwerke zu bauen. Das sollten wir auch in Europa respektieren – dass jeder seinen Weg geht. Sowohl Gas als auch Atomkraft sind realistisch betrachtet notwendig, um die Transformation hin zu regenerativen Energiequellen zu schaffen.

Dann können Sie also mit dem Vorschlag der Kommission, Gas und Atomkraft übergangsweise das Siegel der Nachhaltigkeit zu verleihen, gut leben? 

Wir sind nicht generell ablehnend, werden uns den Vorschlag im Parlament aber in aller Ruhe anschauen und uns dann positionieren.

Macron träumt von der Souveränität Europas – ein kühner Traum angesichts der derzeitigen Lage, in der in Moskau und in Washington über europäische Sicherheit entscheiden wird?

Es war auch ein kühner Traum, nach dem Zweiten Weltkrieg über die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich zu reden. Es war ein kühner Traum von Helmut Kohl, eine gemeinsame europäische Währung zu schaffen. Ich freue mich, dass wir auch wieder einmal träumen, dass wir wieder Lust auf Zukunft haben. Es geht in den nächsten zehn Jahren darum, ob wir unser Lebensmodell verteidigen können, das Modell von Freiheit, von Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung. Wir befinden uns in einem knallharten Wettbewerb der Systeme. Sowohl mit Russland als auch mit China. Auch vor dem Hintergrund, dass die Vereinigten Staaten leider im Inneren viele Herausforderungen haben, muss Europa endlich auf eigenen Beinen stehen.

Auch gegenüber China fällt es der EU schwer, eine klare Position zu beziehen. 

Offensichtlich ist, dass China seine Ambitionen deutlich ausgeweitet hat und zum Global Player geworden ist, der Machtpolitik in sehr, sehr harter Diktion betreibt. Das bekommt derzeit Litauen zu spüren, als eines der kleineren Länder der EU.

Sollte die EU ihre Beziehungen zu Taiwan vertiefen?

Ich werbe sehr dafür, dass wir die Gespräche mit Taiwan verstärken. Ich werbe aber auch dafür, dass wir bei der Symbolik vorsichtig vorgehen. Insgesamt muss spürbar sein, dass sich die Demokratien im asiatischen Raum auf uns als Partner verlassen können. Im Wettbewerb der Systeme ist Taiwan heute, was früher West-Berlin war: der Ort, an dem unser demokratisches Gesellschaftsmodell in direkter Nachbarschaft zu einem Systemrivalen darum kämpft, zu überleben. Wir müssen jene unterstützen, die für Demokratie und Rechtsstaat eintreten.

Mehr außenpolitische Handlungsfähigkeit und weniger energiepolitische Abhängigkeit gibt es nicht umsonst. Macron will daher die europäischen Schuldengrenzen aufweichen. Wie stehen Sie dazu?

Wir brauchen mehr Investitionen, das ist keine Frage. Aber auch Schulden, die für Investitionen verwendet werden, bleiben Schulden. Deshalb stehe ich zur stabilitätsorientierten Politik Europas. Souveränität heißt auch, eine stabile Währung zu haben. Was wir bei den Investitionen schaffen müssen, ist, endlich aus dem Staatsdenken rauszukommen. Wir haben ja viel privates Kapital, das nach Chancen sucht, Rendite zu erzielen. Kluge Politik muss versuchen, privates Kapital für die Zukunftsinvestitionen des Kontinents zu mobilisieren, dafür den richtigen Rahmen zu schaffen.

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat sich in Brüssel als „freundlicher Falke“ vorgestellt, also als jemand, der sanft im Ton, aber hart in der Sache ist. Das müsste Ihnen doch eigentlich gefallen.

Die Berliner Position wird nicht nur mit Christian Lindner verbunden. Zwei Regierungsparteien, die SPD und die Grünen, zeigen sich offen dafür, die Schuldenregeln aufzuweichen. Auch der Besuch von Kanzler Scholz in Spanien deutet darauf hin, dass es einen Versuch der Sozialdemokraten in Europa gibt, den Stabilitätspakt aufzuweichen. Insofern: Die Position der Bundesregierung ist nicht klar, wir wissen nicht, wofür sie steht, auch in dieser Frage.

Wissen wir denn, wofür die Unionsparteien stehen? Am Wochenende wird Friedrich Merz den CDU-Vorsitz übernehmen. Teile der Basis hoffen auf eine konservative Wende.

Sowohl Friedrich Merz als auch CSU-Chef Markus Söder haben deutlich gemacht, dass es keine Strategiediskussion in der Union gibt. Wir wissen, wofür wir stehen. Merz ist es in der schwierigen Phase nach der Wahlniederlage gut gelungen, die CDU zu stabilisieren. Das zeigen auch die Umfragen. Opposition ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Die nächste landesweit stattfindende Wahl ist die Europawahl 2024. Wir wollen deutlich machen, dass wir die Parteien sind, die den richtigen Plan haben, wie wir diesen Kontinent zusammenführen und in eine gute Zukunft bringen können.

 

Dieses Interview erschien zunächst am 19. Januar 2022 im Handelsblatt. Mehr zum Thema finden Sie hier.
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