Klimaschutz ist die größte Herausforderung unserer Generation. Es wird immer deutlicher, dass wir die Anstrengungen weltweit erhöhen müssen, um gefährliche Kipppunkte im Klimasystem zu vermeiden und das Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen. Zu Recht läuft eine Debatte darüber, wie und wo die Staaten der Europäischen Union Tempo machen können.
Eine ideologisch betriebene Diskussion allerdings reicht zu kurz. Schließlich waren Deutschland und die Europäische Union in den vergangenen Jahrzehnten die treibenden Kräfte für den Klimaschutz und müssen dies auch weiterhin bleiben. Ohne die EU gäbe es kein Pariser Klimaschutzabkommen.
Und es waren CDU- und CSU-Politiker in Deutschland und der EU, die die Fortschritte in den vergangenen Jahren erreicht haben. Aber wir sind uns bewusst, dass wir jetzt noch mal deutlich mehr tun müssen – wir müssen den Klimaschutzturbo einschalten. Das werden wir schon aus Verantwortung gegenüber der nächsten Generation und unseres Planeten tun.
Es ist gut, dass sich nicht nur die EU, sondern mittlerweile auch viele große Industrie- und Schwellenländer wie die USA, Südkorea, Japan und Südafrika zur Klimaneutralität bis 2050 bekannt haben. Chinas Zielsetzung für eine Kohlenstoffneutralität bis 2060 dürfte ebenfalls ein wichtiger Schritt sein. Aber all das reicht noch nicht aus. Die EU muss die Klimadiskussion unbedingt auf der internationalen Tagesordnung halten.
Außerdem sollte die EU weiterhin mit gutem Beispiel vorangehen und Maßstäbe setzen. Wir fordern deshalb die schnellstmögliche Ernennung eines hochrangigen EU-Klimabotschafters, der sich um den internationalen Klimaschutz kümmert – und um nichts anderes. Europa braucht endlich ein Gesicht, das den Klimaschutz verkörpert. Dies wäre ein wichtiges politisches Signal.
Rolle der Ordnungspolitik wird überhöht
Allerdings entsprechen die Ambitionen bei einigen internationalen Wettbewerbern leider nicht denen der EU. Deshalb braucht es geeignete Maßnahmen, um die Verlagerung von Kohlenstoffemissionen zu vermeiden und im wirtschaftlichen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben. Bewährte Maßnahmen wie die kostenlose Zuteilung von Co2-Zertifikaten dürfen nicht abgeschafft werden.
Soweit es im Rahmen der Regeln der Welthandelsorganisation möglich ist, sollte Schritt für Schritt ein Grenzausgleichsmechanismus eingeführt werden. Die innereuropäische Debatte krankt vor allem an einer überhöhten Rolle der Ordnungspolitik, die zwar wichtig ist, aber nicht entscheidend. Das Kernelement der europäischen Klimaschutzpolitik ist der EU-Emissionshandel (ETS).
Nachdem wesentliche Korrekturen durchgeführt worden sind, ist dieses Handelssystem insbesondere in den vergangenen zwei Jahren sehr erfolgreich gewesen. Es hat zu dramatischen Senkungen des CO2-Ausstoßes geführt – vor allem im Stromsektor, aber auch bei energieintensiven Industrien. Das ETS ist effizienter als alle anderen Instrumente und erreicht die vorgegebene Verringerung der Treibhausgase in jedem Fall.
Gegenüber dem Ordnungsrecht hat das ETS den zusätzlichen Vorteil, dass es finanzielle Einnahmen erzielt, die zielgerichtet zur Entlastung von Unternehmen und Privathaushalten sowie für Innovationen und einen Ausgleich zwischen den Staaten genutzt werden können.
Der soziale Ausgleich muss funktionieren
Wir wollen die Einführung eines europäischen Emissionshandels auch für Wärme inklusive Prozesswärme und Verkehr. Dabei muss von Anfang an klar sein, wie der soziale Ausgleich und der Ausgleich zwischen den Staaten funktioniert. Für die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger sollte es netto eine Entlastung geben, das heißt eine „schwarze Null“.
Der Staat darf durch den Emissionshandel höchstens so viel einnehmen, wie er an anderer Stelle durch Absenkung von Steuern und Abgaben sowie gezielte Zuschüsse zurückgibt. CO2-armes Handeln soll belohnt werden. Dabei sind soziale Aspekte vorrangig zu berücksichtigen. Ebenso könnten Projekte aus dem 750 Milliarden Euro schweren Aufbauplan „Next Generation EU“ erreichen, steigenden CO2-Preisen durch Innovationen in moderne Technik entgegenzuwirken.
Wir setzen vor allem auf markwirtschaftliche Anreize, Ordnungsrecht allein wird den notwendigen Umbau zu einer nachhaltigen Energieversorgung nicht oder nur zu extrem hohen Kosten und mit sehr vielen Detailregelungen erreichen. Selbstverständlich haben wir nichts gegen ergänzende Instrumente, die wirksam mit dem Emissionshandel verzahnt sind.
In jedem Fall muss die Politik für die Akzeptanz der Klimaschutzpolitik in der Bevölkerung sorgen. Ausschließlich per Ordnungsrecht zu handeln brächte fundamentale Akzeptanzprobleme. Wir vertrauen auf Innovationen und Technologie durch die Unternehmen. Technologievorgaben sind kontraproduktiv. Das bleibt Sache des Wettbewerbs, der Wissenschaft und der Unternehmen, um die ökologischste und effizienteste Lösung zu finden.
In Energieeffizienz investieren
Wir sind dafür, die Energieeffizienz zu steigern. Denn die sauberste Kilowattstunde ist die, die gar nicht erst erzeugt werden muss. Investitionen in Energieeffizienz sind am wirtschaftlichsten. Außerdem bringen wir mit dem Prinzip „energy efficiency first“ Klarheit für Bürger und Investoren. Diejenigen, die in Energieeffizienz investieren, werden unterstützt und haben Planungssicherheit.
Genauso muss der möglichst marktwirtschaftlich organisierte Ausbau erneuerbarer Energien ohne unverhältnismäßige Steigerung der Strompreise sowie unter Berücksichtigung der Anliegen der Anwohner beschleunigt werden. Landwirte und insbesondere Waldbauern sind Partner des Klimaschutzes und dürfen nicht weiter pauschal als „Klimasünder“ gebrandmarkt werden.
Auch wenn bestimmte Bewirtschaftungsformen sehr starke Emissionen verursachen, wirtschaftet ein großer Teil der Landwirte und vor allem der Forstwirte heute schon klimafreundlich. Dies muss durch gezielte Anreize weiter gefördert werden. Im Rahmen der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik sollte die Grünlandbewirtschaftung im Vergleich zur Ackerbewirtschaftung besser gestellt werden. Nachhaltige Forstwirtschaft muss sich in Zukunft trotz schwieriger werdender klimatischer Bedingungen weiterhin lohnen.
Uns muss gelingen, den Gegensatz zwischen Klimaschutz und Wirtschaft aufzuheben. Klimaschutz kann – richtig verstanden – eine große Chance für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und damit künftige Arbeitsplätze sein. Wir Christdemokraten wollen mit dem Klimaschutzturbo Wohlstand und Industriearbeitsplätze erhalten, und damit weltweit Vorbild für nachhaltige Entwicklung sein.
Dieser Ansatz, der auf die Soziale Marktwirtschaft baut, hat die Chance, europaweit die Zustimmung der Menschen und Unternehmen für mehr Klimaschutz zu bekommen. Ohne diese Zustimmung sind die politischen Maßnahmen für den Klimaschutz zum Scheitern verurteilt.
Die Autoren: Manfred Weber ist Vorsitzender der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und Stellvertretender CSU-Parteivorsitzender. Peter Liese (CDU) ist umweltpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion.
Dieser Gastbeitrag ist zunächst am 27.06.2021 im Handelsblatt erschienen.