Interview mit WELT AM SONNTAG: Verbrenner-Aus auf den Prüfstand

Wie steht es um die Führung in Europa? Gibt es einen Systemcheck bei den EU-Umweltgesetzen? Und wie den Migrationspakt umsetzen? Meine Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie im Interview mit der Welt am Sonntag.
Interview mit WELT AM SONNTAG: „Das Verbrenner-Aus kommt ganz gewiss auf den Prüfstand.“ (Foto: Tobias Koch)
Interview mit WELT AM SONNTAG: „Das Verbrenner-Aus kommt ganz gewiss auf den Prüfstand.“ (Foto: Tobias Koch)
WELT AM SONNTAG:

Herr Weber, die deutsch-französischen Beziehungen scheinen einen neuen Tiefpunkt erreicht zu haben. Wer ist schuld daran?

Manfred Weber:

Ehrlich gesagt, ist man nur noch fassungslos. Mit ihren jüngsten Aussagen zur Ukraine spalten Scholz und Macron den Westen. Scholz spaltet zudem sogar seine eigene Regierung. Putin wird das mit großer Freude verfolgen. Gerade in einer Zeit, in der es Zusammenhalt und das deutsch-französische Tandem am meisten braucht, versagen Scholz und Macron als europäische Führungskräfte. Sie denken an die nächste Wahl, aber nicht an die historische Aufgabe. Ich appelliere: Setzt Euch endlich zusammen und kommt Eurer Verantwortung nach! Europa darf nicht aufgrund Eurer Egos zu Schaden kommen.

WELT AM SONNTAG:

Was bedeuten die anhaltenden Konflikte zwischen Scholz und Macron für Europa?

Manfred Weber:

Es droht eine gefährliche Lähmung. Derweil wäre wichtig, Putin Grenzen aufzuzeigen. Wir brauchen starke nationale Armeen, wir brauchen einen gemeinsamen EU-Rüstungsmarkt, um billiger und schneller zu produzieren, wir brauchen eine EU-Kommissar für Verteidigung, der das koordiniert, und wir brauchen ein „Buy European“-Gesetz, damit bei den Rüstungsaufträgen vorrangig europäische Forscher und Arbeitsplätze profitieren. Einigkeit, Mut und Handlungsstärke sind notwendig. Macrons europäische Liberale und Scholz‘ europäische Sozialdemokraten fallen weitgehend aus. Ich bin froh, dass unsere EVP-Spitzenpolitiker, wie Ursula von der Leyen oder Donald Tusk, stattdessen Führung übernehmen.

WELT AM SONNTAG:

Sie haben zuletzt wiederholt die Grünen kritisiert. Was stört sie am meisten?

Manfred Weber:

Im Kern die grüne Denkweise. Sie sagen: ‚Nur wir wissen, wie die Welt richtig zu funktionieren hat. Wir müssen Vorschriften und Gesetze machen, damit die Menschen auch ‚richtig‘ leben.‘ Insofern hat die grüne Art auch etwas Freiheitsraubendes. Christdemokraten und Grüne fordern beide ambitionierte Klimaziele. Aber die Grünen wollen anordnen. Wir dagegen vertreten einen freiheitlichen Ansatz: Wir vertrauen auf Markt und Wettbewerb, auf Kreativität und auf den individuellen Ehrgeiz. Wir wollen, dass die Arbeitsplätze in Europa und nicht in China entstehen.

WELT AM SONNTAG:

Wird die EU-Umweltgesetzgebung der vergangenen fünf Jahre bald wieder aufgeschnürt werden?

Manfred Weber:

Wir Christdemokraten sind diejenigen, die zeigen werden, dass Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen und Wohlstand zu halten zusammengehen. Wir haben 32 von 34 Gesetzen des Green Deal mitgetragen, wenn auch in veränderter Form gegenüber der Vorlage der EU-Kommission. Die EVP hat die Führung bei der Umsetzung des Green Deal – und nicht die Grünen. Aber klar ist auch: Es wird einen umfassenden System-Check bei den EU-Umweltgesetzen geben. Das Verbrenner-Aus wird ganz gewiss auf den Prüfstand kommen, ebenso unzumutbare Belastungen für Landwirte und Unternehmen. Wir wollen darum einen EU-Kommissar für Mittelstandspolitik ernennen, der sich auch um Bürokratieabbau kümmern soll. Ebenso will die EVP eine Bagatellklausel einführen, damit kleinere Unternehmen erst gar nicht unter das europäische Recht fallen. Warum sollte der Metzger um die Ecke die EU-Hygieneverordnung einhalten müssen? Das können die Behörden vor Ort doch viel besser regeln.

WELT AM SONNTAG:

Wer wird für den Europawahlkampf der europäischen Christdemokraten (EVP) verantwortlich sein: Spitzenkandidatin von der Leyen oder Parteichef Weber?

Manfred Weber:

Die Spitzenkandidatin ist das Gesicht und die Stimme der EVP im Wahlkampf. Sie wird – wie in der Vergangenheit auch – ein Wahlkampfteam benennen und eine Wahlkampfzentrale einrichten. Die EVP wird für die Wahlkampagne eine mittlere einstellige Millionensumme bereitstellen.

WELT AM SONNTAG:

Wie wird der EVP-Wahlkampf aussehen?

Manfred Weber:

Wir werden im Europawahlkampf als Team antreten. Dazu werden unsere Spitzenkandidatin Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen, EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und ich als EVP-Partei- und Fraktionschef gehören. Unsere Kernanliegen im Europawahlkampf werden sein: Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu sichern. Dazu gehört auch der Kampf gegen Europa-Feinde und Putin-Freunde.

WELT AM SONNTAG:

Von der Leyen dürfte bei ihrer Wiederwahl als Kommissionspräsidentin auch auf die Stimmen rechtspopulistischer Parteien im Parlament angewiesen sein.

Manfred Weber:

Es gibt für uns eine klare Brandmauer gegenüber allen Rechtsradikalen auf dem Kontinent. Pro Europa, pro Rechtsstaat, pro Ukraine – das sind die Grundpfeiler, auf denen diese Brandmauer steht. Jeder, der dagegen ist, wird für uns kein Partner sein. Das schließt etwa eine Zusammenarbeit mit der AfD, der polnischen PiS-Partei, der ungarischen Fidesz-Partei und der französischen Rechtsradikalen Le Pen aus, sie sind unsere politische Feinde. Aber warum sollten wir nicht mit Rechtskonservativen wie Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni und Tschechiens Ministerpräsident Petr Fiala zusammenarbeiten? Beide sind anerkannte Regierungschefs, sie setzen sich für die Ukraine ein und wollen Europa konstruktiv gestalten. Im neu gewählten Europäischen Parlament ist eine punktuelle Zusammenarbeit mit europafreundlichen Konservativen für mich genauso denkbar wie eine Zusammenarbeit mit den Grünen.

WELT AM SONNTAG:

Aber eine formale Koalition zwischen der EVP und Meloni und Fialas Parteienfamilie schließen Sie aus?

Manfred Weber:

Eine EVP-Mitgliedschaft der ‚Brüder Italiens‘ ist kein Thema. Laut Umfragen werden die rechtsextremen Parteien im kommenden EU-Parlament deutlich stärker werden. Gleichzeitig wollen wir eine europäische Ampelkoalition verhindern. Da ist es wichtig, dass wir alles tun, um die proeuropäische bürgerliche Mitte im Parlament zu stärken. Wir Christdemokraten wollen das Europäische Parlament nicht den Links- und Rechtsextremen überlassen. Die Gefahr besteht aber. Das hätte verheerende Folgen für Europa. Darum ist die Europawahl im Juni auch von historischer Bedeutung.

WELT AM SONNTAG:

Die europäischen Christdemokraten werden laut Umfragen wieder stärkste Partei im EU-Parlament und damit auch die Kommissionspräsidentin stellen. Gleichzeitig wird Ihre Partei mindestens 12, möglicherweise bald sogar 14 Regierungschefs in der EU stellen. Dagegen werden die Sozialdemokraten wohl nur maximal fünf Regierungen anführen. Was heißt das?

Manfred Weber:

Das ist ein klarer Regierungsauftrag für die EVP. Wir werden führen und Probleme lösen.

WELT AM SONNTAG:

Was bedeutet das für die Migrationspolitik?

Manfred Weber:

Wir wollen kontrollierte Migration und ein Ende der Macht der Schleusermafia. Dazu brauchen wir in den kommenden fünf Jahren ein konsequentes Umsetzen des EU-Migrationspakts.

WELT AM SONNTAG:

Was will die EVP durchsetzen?

Manfred Weber:

Ich nenne Ihnen drei Bausteine, die alle schon im Rahmen des neuen EU-Migrationspaktes umgesetzt werden könnten. Erstens: Wir benötigen 30.000 – und nicht nur wie bisher geplant 10.000 – EU-Grenzschutzbeamte, die mithelfen, um an den EU-Außengrenzen für Ordnung zu sorgen. Sie sollen mehr Kompetenzen erhalten und die Grenze schützen, damit illegale Migranten nicht einfach weiterziehen, wohin sie wollen. Zweitens: Mit Drittstaaten sollen nachhaltige partnerschaftliche Abkommen auf Augenhöhe vereinbart werden, die eine Zusammenarbeit in Wirtschaftsfragen, beim Austausch von Studenten und in der Migrationspolitik ermöglichen. Tunesien ist ein gutes Beispiel dafür. Drittens: Asylverfahren sollen möglichst in Drittstaaten in Europa, wie etwa Albanien, oder in Afrika, wie beispielsweise Ruanda, durchgeführt werden. Im Fall einer Ablehnung soll der Antragssteller dann zügig in sein Heimatland zurückgeführt werden. Hat er jedoch Anspruch auf Schutz, so sollte ihm dieser auch möglichst in dem sicheren Drittstaat gewährt werden, wo bereits zuvor das Asylverfahren durchgeführt wurde. Wir sind für das Recht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention. Aber diese Konvention garantiert nicht das Recht, in einem bestimmten Staat, wie Deutschland oder Österreich, leben zu dürfen.

 

Dieses Interview erschien am bei Welt am Sonntag.
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