Gemeinsam kann Europa Pandemien, Alzheimer und den Krebs besiegen

In den vergangenen zwölf Monaten hat die Corona-Pandemie vieles bisher Selbstverständliche infrage gestellt. Gesundheit ist elementar. Die schrecklichen Bilder im Frühjahr aus Bergamo zeigten, wie hilflos wir allein sind. Aber gemeinsam können wir Corona stoppen. Deshalb war 2020 auch das Jahr von Millionen europäischen Helden, die selbstlos und selbstverständlich anderen halfen. Das politische Kernprojekt dieses Gemeinschaftsgeistes ist der Wiederaufbaufonds: Europa überwindet diese Krise gemeinsam.
Manfred Weber im Europäischen Parlament in Brüssel

Es ist deutlich geworden, dass selbst das beste nationale Gesundheitssystem nie allein vor einer Pandemie schützen kann. Und mancher Egoismus zu ihrem Beginn hat gezeigt, wie schnell Europa wieder zerfallen kann. Wer hätte vor einem Jahr geahnt, dass unser wirtschaftliches Wohlergehen essenziell am pharmazeutischen Fortschritt hängt?

Zwar mögen die aktuellen Diskussionen über die Impfstoffbeschaffung notwendig sein, doch sollten wir nicht aus dem Blick verlieren, dass Europa derzeit den positiven Unterschied macht. Die Impfstofffirmen Biontech oder auch Curevac sind das Resultat einer europaweit vernetzen Forschungslandschaft, die das Wohl der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Beide Firmen kommen nicht ohne Grund aus der innovativen Krebsforschung. Ihre Arbeit baut auf einer europäischen Forschungsstrategie auf, die mit Hilfe der personalisierten Medizin schwere Krankheiten – wie Krebs oder Alzheimer – bekämpfen sollen. Eines ihrer ersten Ergebnisse ist der Corona-Impfstoff. Europa ist also Innovationsleuchtturm für die gesamte Welt, wenn wir nur unser Wissen und Fertigkeiten zusammenbringen. Ohne EU gäbe es heute weder einen schnell verfügbaren und wirksamen europäischen Corona-Impfstoff, noch mittelfristig genug Impfdosen für die gesamte Welt.

Jetzt müssen Forschungs- und Produktionskapazitäten weiter ausgebaut werden, damit möglichst viele Menschen flächendeckend möglichst zügig geimpft werden können. Jeder Vertragsabschluss, jede neue Fabrikstätte hilft dabei, die Pandemie wirksamer zu stoppen, Leben zu retten, die Menschen wieder zusammenbringen und die Wirtschaft anzukurbeln. Die heutigen Anstrengungen sind erfolgreich, aber noch nicht ausreichend. Deshalb müssen wir in der EU eine weitere Impf-Offensive für 10 Milliarden Euro auflegen, um Europas Führungsrolle auszubauen. Diese Offensive soll Forschung fördern, vor allem aber für die Pharmaindustrie und benachbarte Industriezweige Anreize setzen, dass in ganz Europa alle verfügbaren Ressourcen genutzt werden.

Es war ein großer Erfolg, dass überall in Europa nahezu gleichzeitig das Impfen begonnen wurde. Jetzt müssen wir sicherstellen, dass schnellstmöglich erfolgreich durchgeimpft wird. Die Impf-Offensive soll daher auch frühzeitig alle möglichen Knappheiten bei der nun anstehenden hundertmillionenfachen Impfungen beseitigen und eine bestmögliche Logistik zur Verfügung stellen. Europa könnte so der erste Kontinent auf der Welt sein, der die Corona-Pandemie überwindet.

Gleichzeitig soll diese Offensive eine gesellschaftliche Debatte voranbringen, bei der Wissenschaftler über die Hintergründe und Chancen neuartiger Impfstoffe aufklären. Gerade weil Europa die strengsten Gesundheits- und Risikoauflagen und die verantwortungsvollste Medizinforschung weltweit hat, gerade weil wir bei den Vertragsabschlüssen mit den Pharmakonzernen auf das europäische Haftungsrecht insistiert haben, können wir die Menschen mit europäischen Impfstoffen am besten überzeugen. Die Wirksamkeit medizinischer Innovation hängt maßgeblich vom Innovationsverständnis und von der Impfakzeptanz ab. Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht Märkte oder Profit. Und wir müssen Fake-News und Halbwahrheiten entgegentreten.

Das Thema Gesundheit darf und wird für Europa nicht erledigt sein, wenn die Pandemie unter Kontrolle ist. Die jetzt geschaffene Infrastruktur für die Corona-Impfstoffe darf keine Investitionsruine werden, sondern muss Europas Innovationsführerschaft bei der personalisierten Medizin sichern. Dafür sollten wir ein europäisches „Marie-Sklodowska-Curie-Institut“ für personalisierte Medizin schaffen, das die Forschungs- und Anwendungskapazitäten bei der Pandemie- sowie der Krebs- und Alzheimerforschung besser koordiniert, bündelt, fördert und großangelegte Gesundheitsprojekte auflegt. Bessere Krebsdiagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten für alle Europäer könnten ein wichtiger Zwischenschritt sein. Gesundheit ist das neue Feld Europas für ambitionierte Ziele. Gemeinsam können wir Pandemien, Alzheimer und den Krebs besiegen.

Vor 70 Jahren waren Kohle und Stahl das europäische Bindemittel, um Kriege ein- für allemal unmöglich zu machen. Heute definieren nicht mehr nur der Markt, die Wirtschaft und das Geld die Einheit der EU. Lasst uns die EU mit einer Gesundheitsunion erweitern, bei der Spitzenforschung und erstklassige Anwendungen Hand in Hand gehen. Dafür lohnt es sich Europäer zu sein, an Europa zu glauben, an Europa zu arbeiten.

 

Dieser Gastbeitrag ist als „Fremde Feder“ am 12. Januar 2021 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

Nach oben scrollen