Die Union darf sich nie und nimmer zur AfD-Kopie degradieren

Vergangenen Donnerstag war der Jubel im konservativen Hauptquartier an Themse enorm. Eine beeindruckende absolute Mehrheit, den größten Sieg der Tories seit 1987 hat Boris Johnson mit seiner Kampagne eingefahren.
"Wir sind Kriegsziel" - Manfred Weber im Interview
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Ja, der britische Premierminister überwand sogar die strukturelle Schwäche der britischen Konservativen, indem sein Wahlkampf ehemalige Stahl- und Kohleregionen, in denen die Tories seit Generationen keinen Stich mehr machen konnten, in konservatives Blau einfärbte. Aber läutete damit Boris Johnson eine parteipolitische Zeitenwende ein, die weit über den Ärmelkanal hinüberreichen könnte, wie dies einst Margareth Thatcher oder auch Tony Blair gelang? Ich denke nein! Johnsons Sieg ist kein Paradebeispiel, weder für CSU noch CDU oder der Europäischen Volkspartei.

Johnsons Wahlsieg resultiert vielmehr aus einem tief erschütterten Vertrauen der britischen Wählerinnen und Wähler in ihre politische Klasse. In Nachwahlbefragungen lehnen über die Hälfte die britische Regierungspolitik insgesamt ab. Die Mehrheit seiner Landesleute finden ihren Premierminister sogar vollkommen unglaubwürdig. Zwei Drittel halten das Handeln seiner Regierung in den wesentlichen Politikbereichen wie der Migrations- und Gesundheitspolitik sowie bei der Inneren Sicherheit für falsch. In der Bildungspolitik sieht es nicht viel besser aus: 57 Prozent der Briten lehnen sie ab. Johnsons selbst verkündeter konservativer Aufbruch begeistert die Briten nicht wirklich. Es wurde keine Idee für die Zukunft gewählt.

Sein Erfolg gründete sich vielmehr auf den tiefen Ermüdungserscheinungen vieler britischer Bürger mit dem von Johnson mit verursachten Brexit-Chaos. „Let’s get Brexit done“ war sein Wahlkampf-Motto. Wie er Großbritanniens Verhältnis zur EU in Zukunft ausgestalten will, wurde nicht thematisiert. Sein eigentliches Plus lag vielmehr in Corbyns Schwäche. Johnsons Werte sind miserabel im europäischen wie auch im historischen Vergleich. Johnsons Glück: die von Corbyn waren schlicht noch katastrophaler. Selbst der glücklose Gegenspieler von Margareth Thatcher, Michael Foot, erhielt in den 1980er Jahren mehr Zustimmung als heute Corbyn. Bekanntlich geht es im britischen Mehrheitswahlrecht nicht darum, die Mehrheit der britischen Wählerstimmen zu erhalten, sondern nur besser als der Konkurrent zu sein. Eine enttäuschte politische Mitte kann sich — anders als im deutschen Wahlrecht — bei einer zunehmenden Polarisierung nicht regierungsbildend äußern. Dies kam nun Boris Johnson zugute. Überzeugt hat er aber viele Briten bis heute nicht.

Vielmehr löste die weitgehend auf Lügen und Unwahrheiten aufgebaute Brexit-Kampagne einen in Großbritannien noch nie gekannten politischen Vertrauensverlust aus, der sich in einer enormen Wählervolatilität ausdrückt: So verschwand etwa die in Großbritannien bei den Europawahlen stärkste Partei — Nigel Farages Brexit-Party — gut ein halbes Jahr später in die politische Bedeutungslosigkeit. Politische Emotionen gelten seit dem Brexit-Referendum fast ausschließlich dem, was man ablehnt, nicht dem, was man erreichen will. Diese aufgehetzte Stimmung hat nichts mit den großen historischen Richtungsentscheidungen in der britischen Politik zu tun. Letztlich griff Corbyn in die sozialistische Mottenkiste der 1970er Jahre, während er sich zum Schicksalsthema Brexit nicht klar positionierte. Übrigens hat Labour damit auch der europäischen Sozialdemokratie gezeigt, dass ein Linkskurs in die Vergangenheit nicht erfolgreich ist. Boris Johnsons sprach mit seiner konservativen Oberschichtspartei mit Hilfe nationalistischer Vorurteile -insbesondere gegen Mittel- und Osteuropäer- abgehängte Wählerschichten an und hängte seine weithin populäre Anti-Establishment-Rhetorik am gemeinsamen Feindbild „Brüssel“ auf. Eine langfristige Erfolgsstrategie ist das nicht. Wenn man es klar formulieren will: Unbequeme, moderate Stimmen wurden ausgegrenzt. Die stolzen Tories verengten sich zu einer bloßen Brexit-Partei. Für Deutschland ist das kein Vorbild. Die Union darf sich nie und nimmer zur AfD-Kopie degradieren, die einfach ihre Stimmen, Sprüche oder plumpe Politik übernimmt.

Negative Polarisierung schafft Emotionen und mitunter kurzfristige Erfolge. Langfristige Wählerbindungen können Vorurteile genauso wenig erzeugen wie Vertrauen schaffen. Beides ist aber für Volksparteien unerlässlich. Konrad Adenauers Anti-Kommunismus war ja letztlich auch nicht der zentrale Erfolgsgarant der CDU. Die Union profitiert bis heute vielmehr von der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, der Westbindung und der von Adenauer initiierten euro-atlantischen Integration. Gesellschaften zusammenführen und Zukunftsprojekte erfolgreich umzusetzen, macht die Strahlkraft von starken Volksparteien aus. Das wussten Disraeli, Churchill und auch Thatcher. Sie standen für faszinierende Zukunftsprojekte. Boris Johnson muss sich dagegen als Premierminister erst noch beweisen. Bisherige Bindungen zur EU zu kappen, ist vergleichsweise einfach, ein neues Kapitel der gemeinsamen Zusammenarbeit aufzuschlagen, schon deutlich schwieriger. Boris Johnson muss sich neu erfinden: Jetzt kommt es darauf an, Brücken zu bauen, Kompromisse finden und ein Land zusammenzuhalten. Ich traue ihm das zu. Diese zusammenführenden Fähigkeiten werden letztlich entscheiden, ob er ein starker Premierminister wird.

Die CDU und CSU sollten nicht versuchen Boris Johnson zu kopieren, als vielmehr an den neuen Zukunftsbildern zu arbeiten. Heimatliebe mit digitalen Zukunftsthemen zu verbinden, die jedem in der digitalen Welt eine lebenswerte Heimat bietet, wird genauso wichtig sein wie der Klimaschutz und ein Europa, das seine einzigartige Lebensweise, seine Traditionen und Werte schützt. Dafür brauchen wir keinen zweiten Brexit, sondern das genaue Gegenteil: Ein Europa, das erwachsen wird, und in einer immer turbulenten Welt faire Spielregeln festsetzt. Dafür müssen wir mutig und gern auch emotional Politik gestalten. Als Volkspartei brauchen wir den Mut zum positiven, optimistischen Ja zur Zukunft.

Dieser Gastbeitrag erschien zunächst in der WELT am 18. Dezember 2019.

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