Der jüngste Bericht über den Kindsmissbrauch und den Umgang mit den Tätern in der Erzdiözese München-Freising hat eine erneute Schockwelle nicht nur in der katholischen Welt, sondern in ganz Europa ausgelöst. Der gesamte Kontinent blickt fassungslos auf das Führungsversagen in der katholischen Kirche. Als gläubiger Katholik bin ich beschämt über die Vorgänge. Die katholische Kirche braucht tiefgreifende Reformen. Das bisherige Führungsverständnis, dass vor allem nur geweihte Christen das Sagen haben, muss ein Ende haben. Jeder Gläubige ist gleichberechtigt – egal ob Mann oder Frau, verheiratet oder unverheiratet. Wenn nicht jetzt, wann dann brauchen wir in der Kirche weltweit ein neues Konzil und speziell für Deutschland ehrgeizige Ergebnisse beim Synodalen Weg. Die Tür für grundlegende Reformen muss endlich geöffnet werden. Diese Krise kann nicht allein mit zaghaften Reformversprechen oder punktuellen Bedauern gelöst werden. Nein, der Kindsmissbrauch und vor allem auch der Umgang mit den Opfern und Tätern zeigt die Kirchenstrukturen sind morsch. Die kirchliche Glaubwürdigkeit ist mehr als in Gefahr. Jeder Vertuschungsversuch schützt nicht die Kirche, sondern untergräbt ihren Kernauftrag: Die Verkündung der christlichen Wahrheit. Wer das nicht versteht, sollte zurücktreten.
Aber der christliche Glauben ist aktuell wie eh und je. Fast jede zweite Europäerin, fast jeder zweite Europäer ist katholisch. Aber keiner glaubt für sich allein. Glaubenserfahrungen zu teilen, seinen Glauben weiterzugeben und auch Glaubensinspirationen zu erhalten, ist für die Zukunft des Christentums elementar. Die 200 Millionen Katholiken in Europa brauchen dafür eine Kirche als glaubwürdige Instanz für den Glauben. Das wird aber nicht gelingen, wenn Kirchen im Traditionsritual erstarren oder sich in eine politisch säkulare Moral nivellieren, sondern nur, wenn sie zu einem aktiven Glauben anspornen.
Lebendige Kirchen sind für die Zukunft gerade auch eines säkularen Europas entscheidend. Ohne überzeugte Christen hätten wir heute nicht unseren Sozialstaat, keine europäische Integration und auch nicht die soziale Marktwirtschaft. Alle drei politischen Projekte wurden ganz maßgeblich von christlichen Werten gestaltet und ganz speziell von der katholischen Soziallehre inspiriert. Gläubige Christen und ihre Kirchen waren immer Anwalt, gesellschaftliche Gräben zu überwinden und Konflikte zwischen Ländern friedlich zu lösen. Gerade in einer Zeit, in der wir immer mehr Spaltungstendenzen in Europa sehen – bspw. zwischen Ost und West, Stadt und Land, Alt und Jung, Globalisierungsgewinner und -verlierer, brauchen wir wertebasierte Institutionen, die zusammenführen. Unser „European Way of life“ würde ohne christliche Werte seine Seele verlieren. Als CDU und CSU dürfen wir die tiefgreifende Krise der katholischen Kirche nicht achselzuckend verfolgen, sondern müssen kirchliche Reformen anmahnen und klar machen: Das Christliche, die christlichen Werte sind notwendiger denn je. Ich stehe zum „C“. Jetzt erst recht!