Europas Zukunft: Eigenständige Verteidigung als Gebot der Stunde

Die EU muss ihre Verteidigung endlich in die Hand nehmen. Denn Europa steht nach der Abkehr Amerikas und angesichts der russischen Bedrohung vor historischen Herausforderungen.
Europas Zukunft: Eigenständige Verteidigung als Gebot der Stunde
Europas Zukunft: Eigenständige Verteidigung als Gebot der Stunde

Die EU muss ihre Verteidigung endlich in die Hand nehmen. Denn Europa steht nach der Abkehr Amerikas und angesichts der russischen Bedrohung vor historischen Herausforderungen.

Russland zeigt sein wahres Gesicht als imperiale Macht der alten Schule, beginnt einen brutalen Krieg und tritt internationales Recht mit Füßen. China, eine kommunistische Diktatur mit Weltmachtanspruch. Und jetzt ignorieren die USA die EU, demütigen europäische Spitzenpolitiker und schwächen die NATO. Wir sind als Europäer alleine, und wir sind in den Stürmen dieser Welt nackt.

Wir sollten uns nicht lange mit dem Wehklagen und Analysieren aufhalten, es wurde schon viel zu viel Zeit verschwendet. Die EU muss jetzt endlich erwachsen werden und ihre Verteidigung selbst in die Hand nehmen. Wird es einfach? Sicherlich nicht. Aber es ist längst überfällig. 330 Millionen Amerikaner werden dauerhaft nicht 440 Millionen Europäer verteidigen. Wird es billig? Auch das nicht. Während die USA in 2023 rund 900 Milliarden Dollar in Verteidigung investieren, geben alle EU-Staaten zusammen nur ein Viertel aus. Der EU-Kommissionsvorschlag, nun 800 Milliarden Euro in die europäische Verteidigung zu investieren, ist richtig. Geld, das wir gemeinsam im europäischen Verbund in unsere Sicherheit investieren, ist maximal effizient angelegt und wird am Ende jeden Cent wert sein. Doch Geld ist nicht alles. Wir brauchen neben einem „Mehr“ an Verteidigungsausgaben auch ein neues Level an Sicherheit, eine neue Qualität an Verantwortung, Zusammenarbeit und Ambition. Fünf Punkte sind dabei zentral:

1. Wir müssen effizienter werden. Wir erlauben uns den Luxus von siebzehn Panzerarten, die Amerikaner eine – wir haben 180 verschiedene Waffensysteme, die Amerikaner dreißig. Wenn wir standardisieren und gemeinsam beschaffen, können wir die Kosten massiv senken und der Industrie Planungssicherheit geben. Und das erzwingt auch gemeinsame Rüstungsexportregeln. Und es geht nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität. Mehr und bessere europäische Zusammenarbeit brauchen wir auch bei den Nachrichtendiensten. Wir müssen die Datensysteme der nationalen und internationalen Sicherheitsbehörden besser vernetzen, um Bedrohungen bestmöglich antizipieren und auf sie reagieren zu können.

2. Wir brauchen ein neues „Airbus-Projekt“, das den Menschen zeigt: Nur gemeinsam kann Europa echte Sicherheit schaffen. Einen gemeinsamen Raketen- und Drohnenschutzschirm an den Außengrenzen der EU, genauso Satellitentechnik zur Aufklärung der Gegner und eine Cyber-Abwehrbrigade. Das kann ein Staat alleine nur noch unzureichend, gemeinsam können wir Souveränität schaffen. Und wir müssen endlich das Gesprächsangebot unserer französischen Freunde für einen nu¬klearen Schutzschirm annehmen.

3. Dafür müssen wir in europäischen Strukturen denken, mit Soldaten, die die EU-Fahne auf der Uniform tragen. Die Basis der Verteidigung sind und werden auch weiterhin starke nationale Streitkräfte bleiben, aber dort, wo der europäische Mehrwert klar erkennbar ist, schaffen wir jetzt den Einstieg in eine europäische Armee. Sie muss unser mittelfristiges Ziel sein. Eine Friedenssicherung in der Ukraine muss die erste gemeinsame Aufgabe einer neuen europäischen Zusammenarbeit sein. Auch Einsätze in der Sahelzone, von der sich alle Staaten derzeit zurückziehen, sollten künftig europäisch möglich sein. Angesichts der Schwächung der NATO müssen wir die Beistandsklausel im EU-Vertrag (Art. 42, Absatz 7) jetzt mit Leben füllen. Auch neutrale Staaten wie Österreich und Irland können hier leichter einen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung leisten.

4. Europa wird in einer stürmischen Welt nur überleben, wenn es geschlossener und entschlossener auftritt. Wir brauchen einen Europäischen Sicherheitsrat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten und anderen europäischen Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Norwegen und Island zusammensetzt. Gleichzeitig muss die EU mit einer Stimme sprechen. Wir müssen weg von der Einstimmigkeit hin zum Mehrheitsprinzip, dürfen uns von Putin-Freunden nicht lähmen lassen, und wir brauchen einen echten Europäischen Außenminister. Was wäre, wenn wir Europäer doch noch zu den US-Russland-Gesprächen eingeladen werden? Wer nimmt dann am Tisch Platz? Die Frage ist nicht beantwortet und zeigt unsere Schwäche.

5. Europa steht für eine regelbasierte Welt. Die Stärke des Rechts anstatt des Rechts des Stärkeren. Und trotz der vielen Tweets und Statements aus dem Weißen Haus – es gibt in der Welt da draußen viele, die das auch so sehen. Kanadier, Mexikaner, Inder oder beispielsweise unsere Partner in Südamerika sind gleichermaßen geschockt über die neue US-Führung wie wir Europäer. Dies müssen wir nutzen. All diese Länder suchen Partner in der Welt, und wenn die USA schwierig und unzuverlässig werden, dann rücken wir Europäer in den Fokus. Jetzt gilt es, den Leitsatz der Neunzigerjahre „Wandel durch Handel“ durch „Sicherheit durch Handel“ zu ersetzen. Unsere Handelspolitik müssen wir stärker auf die geopolitischen Herausforderungen ausrichten.

Historische Veränderungen stehen an. Der Aufbau einer europäischen Armee war für Adenauer der erste Versuch, Europa zu einen. Das Projekt ist damals leider gescheitert. Wir kommen darauf jetzt zurück. Bisher fehlte die Größe an politischer Führung, die Helmut Kohl und Theo Waigel beim Euro oder Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß bei der europäischen Einigung und bei der Wiederbewaffnung hatten. Diese historische Verantwortung muss jetzt wieder gezeigt werden. Sicherheit ist die neue europäische Erzählung.

Dieser Gastbeitrag erschien zunächst am 06. März in der FAZ. Lesen Sie hier mehr zum Thema Verteidigungsunion.
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